Galina & Detlev:

"er ist ein großartiger Mensch" und Heirat in Perm.

Am 12. April 2007 habe ich eine E-Mail von Detlev erhalten ...

Galina und Detlev

Detlev ist ein großartiger Mensch!!! Sprachen kann ich leider nicht so gut. Aber Detlev  hat mich jeden Abend angerufen. Im Juni haben wir gemeinsamen Urlaub in Dubrovnik gemacht. Und der 17. August 2007 ist der wichtigste Tag in unserem Leben. Wir haben geheiratet!!!

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Wir möchten uns recht herzlich bei allen Mitarbeitern von InterFriendship bedanken. Unser Roman hat 4 Monate gedauert. Jetzt sind wir glückich zusammen!!! Vielen Dank!

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Hochzeit in Perm

Ja, dann haben wir also in Perm geheiratet….

Perm, das ist von hier aus kurz vor dem Ural, da wo Europa endet!

Inzwischen bin ich wieder in Deutschland und nun wird erst mal Trübsal geblasen. Wenn ich hier also alles aufschreibe, dann ist das so eine Art Selbsttherapie!

Es hat sich nicht alles ganz genauso abgespielt wie ich es beschreibe, ich habe es gerafft und auf andere Tage gelegt. Vieles habe ich auch wegelassen. Es sollte ja kein Roman werden, obwohl sich der Stoff dafür vielleicht eignet. Und manches, was hier vielleicht ganz lustig klingt war gar nicht lustig - und umgekehrt. Es sollte aber auch eine kleine Entscheidungshilfe sein für die unter Euch, die noch nicht wissen, wo sie heiraten werden oder wollen. Wir haben uns für Perm entschieden und das war gut so. Das lag aber auch an meiner und Lina’s ganz persönlichen familiären Situation. Und die muss jeder für sich selbst beurteilen. Die Familie, das war das Entscheidende für uns. Ob denn Papiere hier oder da leichter zu bekommen sind, war uns egal – Ärger und Rennerei ist es immer. Hier wie dort.

1. Tag Samstag

Flug nach Moskau-Perm

Die nehmen es aber genau mit der Sicherheitskontrolle in Moskau beim Terminalwechsel! Schuhe ausziehen - das habe ich ja noch nie erlebt. Gibt es so was inzwischen in den USA? Und dann der "Grenzübertritt". Ich hatte die Dame der Passkontrolle trotz ihrer tollen Uniform nicht gesehen und bin einfach durchgegangen. Das war ein Aufstand, ist ja auch schlimm mit diesen blöden Ausländern. Ein Glück nur, dass die Dame ihre Kalaschnikow wohl zu Hause im Schrank vergessen hatte – ich würde hier bestimmt nicht sitzen. Aber ich habe freundlich gelächelt und nur Deutsch gesprochen. Und Wunder über Wunder, konnte sie auch, und gar nicht mal schlecht. So klein ist die Welt. Und sie konnte sogar lächeln! Das sah mit der Uniform besonders nett aus.

So bin ich dann doch noch unversehrt in den Flieger nach Perm gekommen.

Ich wurde von einer ziemlich nervösen Lina begrüsst. Ich glaube, irgendwie hatte sie doch noch nicht ganz begriffen, dass es nun so weit sein sollte. Ich hatte aber auch so meine Zweifel, ob das denn nun alles klappen würde, mit den Papieren und den ganzen Vorbereitungen.

2. Tag Sonntag

Antrittsbesuch bei Mama Katja

Das war natürlich eine ganz wichtige Sache. Mama wohnt nur einige Strassen weiter. Wenn man quer durchs Gelände marschiert, immer auf staubigen Schleichwegen um die Hochhäuser rum, dann sind das gerade mal 20 Minuten Fussweg.

Und dann bei Mama zu Hause. Begrüsst wurde ich von Mama, einer 74 jährigen, sehr resoluten Dame, mit einer ziemlich lautstarken Stimme, die alte Dame ist nämlich etwas schwerhörig. Der älteste Sohn Genadin und seine Frau Ludmilla waren aus "Dem Dorf" angereist. Der jüngste Sohn Vowa wohnt bei Mama, er hatte seine Freundin mitgebracht.

Meine Güte, ich bin ja nun auch schon reiferen Alters, aber ich kam mir wie ein Schuljunge vor.

Ich übereichte die mir von Lina vorgeschriebenen Präsente: Pralinen, Blumen und Rotwein. Hatten wir vorher noch im Supermarkt um die Ecke gekauft. War Tage vorher schon per Mail festgelegt worden.

Das Essen stand schon auf dem Tisch, Flaschen waren geöffnet – es war vom ersten Moment an eine sehr herzliche Atmosphäre. Meine grösste Überraschung aber war, dass alle wenigstens ein paar Brocken Deutsch sprachen, was übrigens für viele Russen gilt. In vielen Schulen ist die erste Fremdsprache immer noch Deutsch. Und Mama hatte 1943 in der Schule Deutsch. Das waren die Jahre, als der GRÖFAZ Hitler Russland fast überrollt hätte, und trotzdem Deutschunterricht! Ludmilla hatte noch ein paar deutsche Kinderlieder drauf, auch aus der Schule. Sicher hatte man vorher noch etwas geübt, hatte ich ja auch.

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Mama Katja

Die mit dem Bär tanzt!

 

Und Mama Katja. Ich muss jetzt mal was über die Familie schreiben. Papa Wladimir stammt aus Chita am Baikalsee und ist vor über 12 Jahren gestorben. Er hatte zuletzt als Schweisser in einem der Industriebetriebe in Perm gearbeitet. Mama stammt aus Perm. Papa hat Mama dann irgendwann einmal in Perm getroffen und sie zum Baikalsee mitgenommen. So was soll ja gelegentlich vorkommen. Lina hat mir vorgerechnet, dass es von Chita bis Perm genau so weit wäre, wie von Perm bis ins Ruhrgebiet. Könnte grob hinkommen, ich habe nicht nachgemessen.

Jedenfalls haben sie dann mit einigen anderen Paaren in der Taiga gelebt. In Erdlöchern mit einem Hüttenähnlichen Aufbau oben drauf. Ich weiss nicht, wie diese Erdlöcherhütten innen ausgestattet waren, vermutlich nur mit Reisig und Fellen. Ist bestimmt gemütlich – wenn man jung ist.

Sie haben von den in den Bergen wachsenden Tannen die Tannenzapfen geschüttelt und aus den Tannenzapfen die Kerne rausgepult. Die wurden dann im Basislager am Fuss der Berge gesammelt und nach Irkutsk gebracht und dort verkauft. Weil die Tannen auf den Berggipfeln am ergiebigsten waren, musste auf den Gipfeln geschüttelt und gesammelt werden. Dann wurden die Kerne von den Frauen runter in das Basislager gebracht, was beschwerlich gewesen sein muss, denn die Berge sind dort teilweise ziemlich steil. Die Kerne wurden (und werden heute noch), dem Wodka zugesetzt. Aufgesetzter sozusagen.

Problem war nur, dass die dort lebenden Bären die gleichen Vorlieben hatten. Die erwachsenen Bären klettern zwecks Ernte in die Tannenwipfel, um die Tannenzapfen für ihre unten wartenden Jungen runterzuschütteln. Also machte man aus der Not eine Tugend. Denn wenn die Bären dann von den Bäumen wieder runter kletterten, wurden sie samt Nachwuchs vertrieben. Seid ihr bewaffnet gewesen, habe ich gefragt? Nein, wir hatten ja dicke Knüppel. Das war der Moment, wo ich das Ganze nicht mehr so ganz glauben wollte. Hat man mir wohl angesehen.

Mama Katja holte ein uraltes Fotoalbum raus, dick verstaubt, über 50 Jahre alt. Da war dann alles in Schwarz-Weiss, leicht gelbstichig zu sehen – die Erdhütten, die Berge von Vorräten an Tannanzapfen und auch die Bären. Wie man sich mit einer Bärin, die Junge führt, in der Weise anlegt und dann auch noch fotografieren kann, ist mir schlichtweg ein Rätsel. Aber nachdem ich die Fotos gesehen hatte, habe ich den Rest auch geglaubt.

In den Zuflüssen des Baikalsees wurde auch Gold gewaschen und Katja und Wladimir natürlich mit dabei. Ist bloss leider nichts mehr von da.

Aber es wurde nie etwas aus dem Basislager geklaut, erklärte mir Katja. Ganz anders als heute in Perm. Und das stimmt auch, das mit dem Klauen in Perm. Wenn man eine Wohnung betreten will, erwartet man hinter den Türen die Goldvorräte der Föderation, so sind die Türen gesichert. Lina’s Wohnung ist von insgesamt 5 sehr stabilen Schlössen mit fingerdicken Zapfen verteilt auf drei eiserne Türen gesichert.

Diese Gegend um den Baikalsee und Irkutsk muss damals so eine Art Klondike gewesen sein. Das war Anfang der 50-ziger. Jedenfalls wurde das ganze Geld in Irkutsk auf den Kopf gehauen. Jack London auf Russisch. Ich fahre mit Lina da irgendwann mal hin.

Aber zurück zur Familie. Papa Wladimir hatte mehrere Geschwister, Mama Katja ebenfalls. Das ist der Ursprung der heute zwischen Wladiwostok und St. Petersburg lebenden Vettern und Kusinen zuzüglich Kinder und Kindeskinder, von denen zur Hochzeit eine Woche später rund 25 Leuten anreisen sollten. Kusine Olga aus Chita hat 3 Tage im Zug gesessen, um zu unserer Hochzeit zu kommen. Nach einer Woche ist sie dann wieder nach Hause gereist, wir haben sie noch zum Bahnhof gebracht. Sie hat ein Handy, da kamen dann in den folgenden Tagen die Meldungen: Jetzt bin ich hinter dem Ural, jetzt bin ich in dieser Stadt, jetzt in jener, und jetzt bin ich zu Hause.

Richtung Westen, Perm – Moskau, fährt man auch 25 Stunden mit dem Zug.

Ich werde schon nervös, wenn ich 3 Stunden bis Berlin fahren muss.

3. – 4. Tag

Jetzt wurde es Ernst. Die nächsten Tage haben wir damit zugebracht, meine deutschen Unterlagen übersetzen zu lassen und zu beglaubigen. Die brachten wir dann zum Standesamt, wo das Aufgebot noch mal bestätigt wurde, Lina hatte uns bereits angemeldet. Eigentlich ist eine Mindestwartezeit von 4 Wochen vorgeschrieben. Ich habe auf Vorschlag der sehr netten Standesbeamtin mit meiner Flugkarte nachgewiesen, dass ich einfach nicht warten könne. Das hat dann auch gereicht. Nach diesem Gespräch bekamen wir 2 Tafeln Schokolade überreicht, diese schwarze russische, Willkommensgruss des Standesamtes.

Für die weiteren Hochzeitsvorbereitungen wurden einige Kolleginnen aus der Schule eingespannt - Lina ist Lehrerin an einer Sonderschule. Sie macht die ganze Verwaltung und die Lehrpläne. Sie selbst hat nur einen einzigen Schüler, ein 12-jähriger Junge, der das Bett nicht verlassen kann. Da geht sie jeden Tag hin und geht mit ihm Lernprogramme am Computer durch.

Aber wieder zu den Hochzeitsvorbereitungen. Noch mehr Kusinen aus Perm wurden beratend hinzugezogen. Eine ist Frisöse in einem kleinen Laden an der Ecke, sie war zuständig für die Frisur der Braut. Eine der Kusinen betreibt eine "Fabrikation für Kuchen" und ist schon mal als erfolgreiche Unternehmerin von einer Permer Zeitung geehrt worden. Sie würde den Hochzeitskuchen liefern. Wer wann und wo fotografieren und filmen werde, war ein wichtiges Thema. Dann irgendwann viel mir auf, dass Gespräche abgebrochen wurden, wenn ich dazu kam. Alles wurde plötzlich sehr geheimnisvoll. Ich habe mich ganz schnell mit der Rolle eines Statisten abgefunden und bin heilfroh, dass meine Zukünftige sich als Organisationstalent entpuppte. Sie wird demnächst bei mir zu Hause ein weites Betätigungsfeld vorfinden.

5. Tag Hochzeit.

Morgens fielen mehrere Freundinnen und Kusinen in Linas Wohnung wie ein Schwarm aufgescheuchter Hühner ein. Ich wurde in die Küche verbannt. Mir wurden 3 Minuten für meine eigene Vorbereitung zugestanden, der Braut standen 3 Stunden zur Verfügung. Freundin Olga war die amtierende Kamerafrau. Sie erklärte mir, dass ich nun gleich die Braut sehen würde und was ich zu tun hätte.

Aber ich kann nur feststellen, der Aufwand und die Warterei hatten sich gelohnt. Mir musste von diesem Moment an keiner mehr sagen, was ich zu tun hätte, wenn ich die Braut zum ersten Mal sehe. Ich habe sie einfach umarmt. "Aber ganz vorsichtig", bekam ich sofort zu hören, um bloss keine Locke oder einen Lidstrich zu zerstören.

Inzwischen war Vetter Aleksej mit seinem Geländewagen vorgefahren. Er brachte uns zum Ort des Geschehens, dem Hochzeitspalast mit einigen Hallen für Veranstaltungen, einem grossen Wintergarten und dem Raum für die eigentliche Trauung. Im Wintergarten gibt es einen Teich mit Springbrunnen, ein paar Vogelkäfige hängen dort.

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Alle Brautpaare aus Perm heiraten hier. Wir waren als erstes Paar dran, unser Termin war 11 Uhr. Um uns noch im Terminplan unterzubringen hatte man einfach etwas früher angefangen.

Das Wetter hat traumhaft mitgespielt. Es waren milde 25 Grad, ein leichter Wind kam von der Kama rauf. Unsere Gäste hatten sich am Fuss der Treppe versammelt, Mama Katja und Lina’s Brüder mit uns an der Spitze. Auf einem genau vorgeschrieben Weg gingen wir durch den Hochzeitspalast bis in die erste Etage in den Wintergarten. Den Weg die Treppe rauf musste ich mit Lina zweimal machen, die Kamerafrau war nicht zufrieden. Vermutlich war es mein inzwischen leicht verstörter Gesichtsausdruck, der Olga nicht gefiel.

Oben im Wintergarten wurde ausgiebig fotografiert und gefilmt. Ein paar kleine Kinder wollten partout nicht das tun, was die Kamerafrau von ihnen wollte. Machen den Film sicher noch lebendiger, die lieben Kleinen.

Dann die eigentliche Trauung. Ein Dolmetscher, natürlich auch ein Vetter, war dabei, damit ich auch an der richtigen Stelle "Da" sagen würde. Vorher wurde uns erklärt: Da ist ein langer Teppich, da geht ihr bis dahin, dann bleibt ihr stehen, dann über den runden Teppich usw.

Ja - und dann kamen wir in den Trauungssaal. Unsere Hochzeitsgäste hatten sich rechts und links an der Wand aufgestellt und klatschten. Am Ende an der Querseite stand die Standesbeamtin hinter einem breiten Tisch, neben sich die Fahnen der Russischen Föderation und Perm’s. An der Wand hing das Wappen der Russischen Föderation.

Wir schritten, sehr um Würde bemüht, den uns vorgegebenen Weg entlang, über den Teppich bis zur Kante des runden Teppichs, der Dolmetscher folgte uns dicht auf. Während der ganzen Zeit klatschten unsere Gäste und Lina zitterte fühlbar an meinem Arm und ich hielt sie fest. Vielleicht zitterte ich, und sie hielt mich fest. So genau weiss ich das auch nicht mehr.

Also den Text der Standesbeamtin gebe ich jetzt nicht vollständig wieder. Sie sagte, dass sie das alles im Namen der Russischen Föderation mache, Lina und ich wurden gefragt, ob wir das auch alles freiwillig mitmachten. An der richtigen Stelle gab mir der Dolmetscher einen kleinen Schubs und ich sagte "Da".

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So sieht Glück aus!

Und damit war alles passiert, das war "the point of no return". Jetzt umarmte ich Lina richtig, jetzt waren mir die Löckchen und Lidstriche egal und Lina offenbar auch. Die Hochzeitsgäste kamen zu uns, es wurde heftig umarmt, noch heftiger geküsst und etwas geweint. Eine Tante fing hier an zu heulen und heulte den ganzen Nachmittag weiter. Und es gab was zu trinken, endlich. Nicht, dass ich viel trinke, aber jetzt war es ganz hilfreich.

Ihr denkt jetzt sicher, was machen die da für ein Theater. Aber die machen das immer so in Perm, das ist Standard. Die Zeremonie hatte Stil. Es hat mir Spass gemacht. Wer hier aus dem Westen heiratet schon "Im Namen der Russischen Föderation", oder? Also überlegt Euch das!

Unsere Kuchenfabrikantin hat mir hinterher grosse Geduld mit "Unseren russischen Sitten" bescheinigt. Ich hatte Lina aber vorher gebeten, die Hochzeit strikt nach russischem Protokoll zu gestalten und mir bloss keine westlich orientierte Extrawurst zu braten.

Der Zeitplan war eng, die nächste Hochzeitsgesellschaft rückte an. Draussen auf der Freitreppe gab es noch mal was zu trinken. Vetter Aleksej verfrachtete uns in seinen Geländewagen und wir fuhren in die Stadt, den Hochzeitskuchen abholen.

Da die Küche noch Vorbereitung für das Essen brauchte, Mama Katja war schon wieder auf dem Weg zurück in ihre Wohnung, machten wir noch eine kleine Rundfahrt in die Umgebung von Perm, runter zur Kama und zum See. Das Wetter war wie gemalt für unsere Hochzeit.

Gegen 16 Uhr waren wir zurück in Mama’s kleiner Wohnung. Die Wohnung war wirklich picke packe voll. Das Essen war fertig, alle Flaschen geöffnet, natürlich Wodka in zig Varianten, auch solcher mit Kernen von Tannenzapfen, und dann ging es richtig los. Die Kleiderordnung wurde aufgehoben, ich nahm meine Krawatte ab, Mama hatte wieder ihre Schürze um, Vetter Slava sass im gerippten grauen Unterhemd am Tisch. Er war mal Soldat in Deutschland und sang vaterländische Lieder, Chor der "Roten Armee" oder so.

Jede Familie, jede Gruppe hatte einen Glückwunschtext auf bunt bemalten Karten oder Papierrollen mitgebracht, die wurden jetzt vorgelesen, Lieder wurden gesungen, die Glückwunschtelegramme wurden vorgelesen, mit besonderem Pathos eins aus Wladiwostok. Jede Etappe (die Abstände wurden immer kürzer) wurde von Prost und Anstossen begleitet. Wenn man auch nur mit 5 Leuten angestossen hat, ist im Glas sowieso nicht mehr viel drin, deshalb wurde auch so oft nachgeschenkt. In unregelmässigen Abständen brüllte der ganze Verein dann "Küssen, Küssen", worauf ich die Braut zu küssen hatte.

Aus den oberen Stockwerken des Hauses tauchten Nachbarn auf, die wissen wollten, was sich denn da eigentlich abspielte. Einer brachte sein Schifferklavier mit. Der spielte immer, egal ob es passte oder nicht. Lina sang auch ein Lied, sie hat eine sehr melodische dunkle Stimme. Sie sang irgendwas Anzügliches, alle sahen mich dabei an und lachten sich halbtot. Ich durfte mir ein Lied wünschen. Ich wünschte mir "Nächte von Moskau", sogar die Melodie vom Schifferklavier passte dazu, das Lied hat wohl jeder Russe drauf. Ich hielt auch eine Rede, Vetter Igor übersetzte, mein Russisch ist auch nicht so toll, obwohl ich mir das vorher aufgeschrieben hatte. Ich bat um freundliche Aufnahme in meine neue russische Familie, ich beglückwünschte Lina dazu, was sie doch für eine nette Familie habe, Kusine Olga kommentierte: Du wirst dich noch wundern, in was für eine Familie Du hier rein gekommen bist.

In der Wohnung nebenan wohnt Vetter Igor. Der hatte die Möbel an die Wand geräumt, hier wurde getanzt. Gott sei Dank kein Walzer, ich hasse Walzer. Ich bin mehr für Schmuse-Fox. Es waren eher folkloristische Kreistänze, Lina und ich meist in der Kreismitte. Lina auch oft alleine in der Mitte. Sie ist schon ein kleiner Teufel, meine Lina. Sie bringt Farbe in mein Leben. Alle hatten natürlich die Schuhe ausgezogen – kein Russe betritt eine Wohnung in Strassenschuhen. Nur die Braut hatte heute eine Ausnahmegenehmigung und turnte nach wie vor auf ihren Stilettos durch die Gegend. Bis sie mit einem Absatz hängen blieb und sich auf den Gott sei Dank dicken Teppich legte. Da hat sie die Dinger dann doch mit Schwung an die Wand geschleudert.

Russinnen auf Stilettos haben die Gesetzte der Schwerkraft und Statik ausser Kraft gesetzt. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, wie man auf diesen Dingern so elegant laufen kann. Man sollte hier mal einen Lehrfilm für den Deutschen Orthopädenverband drehen, die lösen sich sofort auf.

Mama Katja sass unter Lächeln und Tränen etwas abseits auf einem Stuhl an der Wand. Das war der Moment, wo ich mich selbst dazu beglückwünschte, dass unsere Hochzeit in Russland stattfand. Russen und Familie, das hat schon etwas Besonderes. Ist uns leider weitgehend abhanden gekommen.

So gegen 20 Uhr wurde dann angekündigt, dass auf uns – auf das Brautpaar – nun noch ein weiterer und letzter Höhepunkt zukäme. Gleich sollte es soweit sein.

Und kurze Zeit später kam ein Pferdegespann um die Ecke, ein kleiner Kastenwagen aus rohem Holz mit 4 Sitzplätzen und einem Pferd davor. Das Pferd war mit Blumen geschmückt. Ein weisser Rolls hätte nicht schöner sein können. Die Kinder fütterten das Pferd, wir sagten Prost und tranken unseren letzten Wodka. Lina und ich stiegen ein, ein paar Kinder fuhren mit, und unter grossem Hallo ging es dann in leichtem Zockeltrab über die Trampelpfade an den Chrustchov-Hochhäusern vorbei zu Lina’s Wohnung.

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Meine russische Familie

6. Tag

Heute war nicht viel los. Alle waren doch etwas angeschlagen von den Feierlichkeiten. Zumal in Igor’s Wohnung wohl noch lange gefeiert wurde. Igor und Vowa waren irgendwie blass um die Nase.

In Plastikkanistern haben wir heute Trinkwasser aus einer der vielen Quellen geholt, die vom Ural Richtung Kama fliessen und unten am Fluss in einem Eisenrohr enden. Der Vorrat reicht immer so für rund eine Woche. Kein Russe hier in Perm trinkt das Wasser aus der Leitung. Man stelle sich das mal vor - Perm ist immerhin eine Stadt mit 1 Mio. Einwohner!

7. – 8. Tag

Heute sind wir am späten Vormittag zusammen mit Kusine Olga aus Chita zu Genadin und Ludmilla aufs Land gefahren. Mit dem Bus und einmal Umsteigen fährt man etwa 2 Stunden. Aber die Fahrzeit täuscht, die Strassen sind schlecht, es sind nur gute 30 km bis ins Dorf.

Wenn irgendwie möglich fährt jeder Russe aus der Stadt an jedem Wochenende raus aufs Land, in das Dorf, oder zur Datscha. Es müssen schon sehr harte Wintertage sein, um auf diese wöchentliche Landpartie zu verzichten. Jeder hat Verwandte oder Freunde in einem der umliegenden Dörfer, zu denen er fahren kann. Hier gibt es frisches Gemüse, was in der Stadt nur für verhältnismässig viel Geld zu bekommen ist. Und Gemüse ist nun mal das Hauptnahrungsmittel, Fleisch wird nur selten und dann nur in kleinen Portionen oder als Füllung gegessen. Ich habe keine aktuellen Kenntnisse, wie es heute in Moskau mit der Versorgung aussieht, aber die Preise sind mit Sicherheit noch sehr viel höher.

Und eingekochte oder marinierte Früchte, eingelegte Pilze, Marmeladen, Gemüse. Lina hat in ihrer kleinen Wohnung 3 Kühlschränke und ganze Regale voll mit Gläsern, Töpfen und Flaschen. Der Wintervorrat. Wenn man in eine russische Wohnung kommt, riecht es immer nach irgendeiner Marinade.

Wenn es nicht riecht, sind die Bewohner entweder sehr reich oder sehr arm. Wobei – das stimmt eigentlich nicht. Armut kann man auch riechen.

Wenn Russen sich gegenseitig besuchen, bringt man etwas mit. Das ist so eine der ungeschriebenen Regeln, wie das Ausziehen der Schuhe wenn man die Wohnung betritt. Oft bringt man dann Gläser mit eingelegten Früchten, Pilzen oder Marmeladen mit. Wenn wir aufs Land zu Genadin und Ludmila fuhren, dann brachte Lina für Ludmila auch schon mal irgendeine Creme oder Seife mit, etwas Exotisches aus dem fernen Paris.

In den Tagen nach der Hochzeit haben wir Slava und seine Familie besucht. Katja hat mir in der Tür noch blitzschnell Süssigkeiten für die Kinder in die Hand gedrückt. Damit ich auch etwas mitbringen konnte.

Die eingelegten Früchte vermisse ich jetzt schon, unsere Supermärkte können da nicht mithalten. Ich fürchte, wenn Lina hier ist, werde ich einen grossen Einkochtopf anschaffen müssen, so einen, wie meine Grossmutter hatte. Ob es hier so was überhaupt noch gibt?

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Lina und Ludmila

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Die Braut putzt Knoblauch und Zwiebeln!

Gearbeitet wird hier immer. Auch wenn die Sonne scheint, hier liegt Niemand in der Sonne.

Ich bekam auch sofort Arbeitskleidung verpasst, Messer und Schere und habe damit dann den Knoblauch und die Zwiebeln so zugeschnitten, dass man sie über den Winter lagern konnte. Von dem Knoblauch habe ich mir eine Tüte voll mit nach Hause genommen. Im Koffer, damit ich keinen Ärger mit der Gepäckkontrolle bekomme. Der "Duft" der Knollen ist ziemlich intensiv, jedenfalls intensiver, als hier in den Supermärkten.

Damit hier keine Missverständnisse aufkommen – Wochenende auf dem Land, das ist in aller Regel kein Freizeitvergnügen. Das funktioniert nach dem Prinzip geben und nehmen, auch innerhalb der Familien. Also – die Städter kommen in ihrer freien Zeit aufs Land und arbeiten, und das nicht zu knapp, das geht in die Knochen, ich habe es erlebt. Dafür gibt es dann Gemüse und die eingelegten oder konservierten Früchte, Obst und Gemüse aller Art. Vor allen Dingen für den Winter wird damit vorgesorgt. Anders geht es auch nicht, die Gemüse- und Obstpreise sind – gemessen an den Einkommen – ganz schön hoch. Besonders schlecht dran sind die Rentner.

An den Ausfallstrassen von Perm, da wo der Wald anfängt, kann man immer wieder Leute beobachten, die an den Waldrändern, oder auch auf dem Mittelstreifen nach Pilzen oder sonstigen Früchten suchen. Freizeitvergnügen ist das nicht, so wie die Leute gekleidet sind.

Wenn man mir auch sofort Arbeitskleidung verpasst hat, dann deshalb, weil man sich gar nicht vorstellen kann, das da einer zum Vergnügen aus der Stadt kommt.

Erfolgsgeschichte Bild 11Genadin pflanzt alles, was irgendwie essbar und nahrhaft ist. Er besitzt eine Kuh mit Kalb, 3 Bienenvölker, ich habe 6 Katzen gezählt, die aggressiv den Hof gegen andere Katzen verteidigen. Und Grom, ein sibirischer Wolfshund an einer Laufkette, diese Sorte mit kupierten Ohren und kupiertem Schwanz, Reisszähne, die Respekt einflössen und leicht blutunterlaufenen Augen. Genadin wollte mich mit Grom langsam bekannt machen. Aber Grom war offenbar froh, dass ihm endlich mal wieder jemand den Staub aus seinem dicken Fell klopfte. Er hat mich sehr schnell akzeptiert. Aber an seinen Napf bin ich nie gegangen!

Jede freie Fläche ist mit irgendetwas bepflanzt. Den grössten Platz nimmt der Kartoffelacker ein. Und überall Blumen unterschiedlichster Art. Sicher auch wegen des schönen Aussehens, aber vor allen Dingen für die Bienen.

Russische Frauen und Blumen, das ist auch eine besondere Beziehung. In den Stadtwohnungen ist jede kleine Ecke mit irgendwelchen Töpfen aus Plastik oder Ton voll gestellt und darin wachsen alle möglichen Pflanzen, die zumindest grün oder besser noch bunt sind.

Etwas deplaziert wirkt ein einsames Huhn mit ursprünglich weissem Gefieder. Nur leider hält es sich fast ausschliesslich auf dem Misthaufen vor dem Kuhstall auf. Da der Mist reichlich feucht ist, ist das an sich weisse Gefieder des Huhns von Gelb über Braun bis Schwarz verfärbt. Ludmila meinte bedauernd, dass das Huhn schon lange keine Eier mehr legt. Ich hatte deshalb den Vorschlag gemacht, doch die nächste Suppe mit dem Huhn etwas zu verfeinern. Passiert vermutlich zu Weihnachten.

Nachmittags haben wir einen Anhänger an den Trecker gehängt und sind zu einer der kommunalen Weiden gefahren, ein grosses Kleefeld. Genadin hat mit der Sense Klee gemäht, Lina und ich haben den Anhänger des Treckers beladen. Der Klee für die Kuh und das Kalb. Auf der Rückfahrt haben Lina und ich uns auf dem Anhänger in den Klee gelegt. Als ich so auf dem Klee liegend zum Himmel blickte, neben mir Lina, kam ich schon ins Grübeln. Was hatte ich eigentlich in Deutschland verloren?

 

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Grom in freundlicher Stimmung

Übrigens, Grom ist auch Vegetarier. Er frisst Brot in Milch eingeweicht, Gemüse und Kohl dazu. Seine Spezialität sind Karotten und Gurken, da ist er ganz wild drauf. Und trotzdem – er soll schon 3 streunende Hunde erledigt haben, die sich an seinem Napf und den Gurken vergreifen wollten.

Das ganz aus Holz gebaute Haus hat 6 Räume. Gewohnt wird in der Küche, wo der grosse Kachelofen steht. Im Kachelofen wird im Winter Wasser erhitzt, das heisse Wasser fliesst in die Zentralheizung, Heizkörper gibt aber nur in der Küche und im Schlafzimmer. Oben auf dem Ofen ist die übliche Nische, in der man schlafen kann. Es gibt auch ein ziemlich grosses Wohnzimmer, das macht aber einen ungemütlichen Eindruck und wird offenbar selten benutzt. Der Russe lebt eben mit Vorliebe in der Küche und auf dem Land sowieso.

Ein Telefon gibt es nicht, nur ein Handy, aber natürlich einen Fernseher.

Direkt neben dem Wohnzimmer, getrennt durch eine ziemlich dünne Holzwand, ist der Kuhstall. Ab und zu lehnt sich eines der Tiere gegen die Wand, dann wölbt sich die Wand nach innen. Der Stallgeruch ist allgegenwärtig, aber nach ein paar Stunden riecht man das nicht mehr.

Der Donnerbalken ist in einem kleinen Haus mit Spitzdach untergebracht. Als Zugeständnis an die Zivilisation gibt es hier auch eine richtige weisse Toilettenbrille mit Deckel aus Plastik. Der Pegel ist so rund 3 Meter unter dem Sitzplatz, weshalb es keine Querschläger geben kann – wenn der Pegelstand so bleibt. Von der Haustür bis zum Häuschen sind es rund 30 Meter. Nachts habe ich es immer bis zu den Sonnenblumen geschafft. Der Hund Grom geht in die Tomaten. Das entspricht dem Radius seiner Kette.

Das Wichtigste ist aber sicher die Sauna. Egal ob es draussen heiss oder kalt ist – abends geht’s in die Sauna. Ich habe gedacht, bei 28 Grad im Schatten und mehr bringt mich da keiner rein, aber es ist auch bei Hitze sehr erholsam. Vor der Sauna zwischen Sonnenblumen und Tomaten steht ein grosser Eisenbottich von irgendeinem Bauwagen, Inhalt sicher 10 qm. Wenn es ausreichend geregnet hat, ist der Bottich voll Wasser. Dann hüpft man von der Sauna direkt da rein.

Trinkwasser kommt aus einer Quelle auf dem Grundstück. Man braucht nicht zu pumpen, im Gegenteil, das Rohr muss mit einem Hahn verschlossen werden.

Das Dorf hat so rund 5.000 Einwohner. Es gibt ein Krankenhaus, ein Altenheim, eine Schule und ein kleines Kino.

Die Schule ist so eine Art Berufsfachschule, uralt, aber pikobello gepflegt. Die ausschliesslich männlichen Schüler kommen per Schulbus aus den umliegenden Dörfern und sind zwischen 20 bis 27 Jahre alt. Unterrichtet wird alles, was mit Handwerk zu tun hat, und auch Deutsch, merkwürdigerweise kein Englisch. Ausserdem werden natürlich Computerkurse angeboten. Genadin ist hier einer der 25 Lehrer, er macht die praktische Ausbildung in der Schreinerei und der Metallverarbeitung. Elektrische Holzsägen, Drehbänke, Standbohrmaschinen – alles ziemlich alt, aber gut gepflegt. Genadin arbeitet 3 bis 4 Tage in der Woche als Lehrer und hat deshalb viel Zeit für seine Landwirtschaft.

Als Genadin und ich einmal alleine zum Krämer gegangen waren, um Bier zu holen, der Laden ist direkt neben der Schule, hat er mir erzählt, dass er sich ein anderes Leben als hier im Dorf nicht vorstellen könne. In der Stadt? Nein, bloss nicht. Er zeigte auf den Ural am Horizont. Das soll ich aufgeben, sagte er? Für was denn?

Im Winter kommen Elche und alle möglichen anderen Tiere bis ins Dorf, auch schon mal ein Wolf oder ein Bär. Elche oder Hirsche stehen gelegentlich im Vorgarten rum. Auch ein Bär hat es mal bis zur Tür geschafft. Bis er dann Grom zu nahe kam, der hat ihn schnell vertrieben.

Genadin hat mir erzählt, dass er schon mal ein paar Wochen auf sein Gehalt warten muss. Lina hat mir das auch für ihre Sonderschule bestätigt. Ärzten in den staatlichen Krankenhäusern und Polikliniken soll das immer wieder mal passieren. Intellektuelle standen in diesem Land nie hoch im Kurs, das ist Tradition noch aus Sowjetzeiten. Aber deshalb schreibt der Krämer hier im Dorf auch noch an. Er hat keine richtige Kasse, aber ein dickes Buch, wo vermutlich das halbe Dorf drin steht.

Am nächsten Morgen sind wir auf den Friedhof gegangen. Hier liegen Vater Wladimir und seine Eltern und Grosseltern. Wie in Russland üblich ist an jedem Kreuz das Bild des Verstorbenen unter Glas zu sehen. Lina hatte aus Perm Kuchen von ihrer Mutter mitgebracht, den sie in kleinen Bröckchen auf die Gräber legte. Jeder der Verstorbenen bekam was ab, auch die Nachbargräber.

Wir sind dann wieder nach Perm mit dem Bus gefahren. Kampf mit den Behörden lag vor uns. Für das Standesamt in Deutschland zur Registrierung unserer Ehe brauchte ich für die üblichen Dokumente Beglaubigungen und Apostillen.

 

9. Tag

Ich hatte mich vorher hier beim Standesamt informiert, was ich zur Registrierung benötigte. Das waren Lina’s Geburtsurkunde, ihre erste Heirats- und Scheidungsurkunde, falls es eine gerichtliche Scheidung gegeben hätte auch das Scheidungsurteil und unsere Heiratsurkunde.

Die erste Überraschung war, dass die zuständigen Stellen der Justiz in Perm für Apostillen keine notariell beglaubigte Kopien akzeptieren, nur Originale. Ausnahme: Man kann sich von den Standesämtern, wo Ehen einmal geschlossen wurden, einen Auszug der dort archivierten Dokumente geben lassen. Die müssen dann, obwohl es ja keine Kopien sind, vom Notar beglaubigt werden, und dann kann man auch dafür eine Apostille bekommen. Das Problem ist – man muss hinfahren. Und das kann in Russland zum Albtraum werden. Lina hatte ihre erste Heiratsurkunde nicht mehr, aber der Ort der damaligen Hochzeit war nur drei Stunden mit dem Bus von Perm entfernt.

10. Tag

Am nächsten Morgen hiess es dann mit dem Bus zu diesem Ort fahren und das Standesamt suchen. Lina fand das Standesamt nicht sofort, der Ort hatte sich in den letzten 25 Jahren sehr verändert.

Dann allerdings wurde ich angenehm von der russischen Bürokratie überrascht. Wir betraten das Standesamt. Frage an eine Angestellte: wo bekomme ich eine Heiratsurkunde? Gang runter, erste Tür links. Eingetreten. Bitte was möchtet ihr? Heiratsurkunde. Bitte wann war das? Am Soundsovielten. Ein Griff in einen Karteikasten – ein Buch rausgeholt – ein bisschen blättern – eine Minute am Computer getippt….. Nach rund 5 Minuten hatten wir die Urkunde mit Stempel und Siegel in der Hand. Kosten 50 Rubel. Das dauert in Deutschland wesentlich länger. Ich habe auf mein beglaubigtes Scheidungsurteil 5 Tage gewartet.

11. Tag

Heute haben wir alle Apostillen bekommen. Das war etwas kompliziert, weil je nach Art des Dokuments unterschiedliche Abteilungen der Justiz zuständig sind. Die Kosten der Apostillen – jeweils 300 Rubel – mussten vorher bei einer bestimmten Bank zwei Strassen weiter eingezahlt werden. Dann mit Quittung wieder zurück zum Amt. Dafür, dass das Papier jemand in die Hand nahm, mussten dann noch einmal 10 Rubel bezahlt werden.

Abends hatte ich runde Füsse, Lina war blass, aber wir hatten alles komplett.

12.- 13. Tag

Zwei Tage ausruhen, die letzten zwei Flittertage. Mama Katja besuchen, noch einmal ein Abstecher aufs Land zu Ludmilla und Genadin. Fotos gemacht, an der Kama entlang spaziert. Perm war immer noch sommerlich heiss.

Wir waren auch einige Male im Zentrum von Perm. Es ist eine der üblichen unpersönlichen Industriestädte. Das alte Perm mit alten Holzhäusern auf steinernen Fundamenten ist ungepflegt und wartet wohl auf den Abriss. Das neue Perm besteht aus modernen Häuserblöcken.

Ja und der Bahnhof. Das Gebäude stammt noch aus der alten Sowjetzeit, das bedeutet Marmor und Kronleuchter. Wie die Moskauer Metro. Alle Zeitangaben der Anzeigetafel zeigen Moskauer Zeit. Da musste ich dreimal hingucken und rechnen. Die Russen können das besser als ich, die müssen ständig mit elf Zeitzonen umgehen.

Perm liegt an der Strecke der Fernzüge Moskau - Wladiwostok und in dem kleinen Dorf, wo Genadin und Ludmila wohnen, halten die Fernzüge merkwürdigerweise. Die Anzeigetafel zeigte, dass der Zug links vom Bahnhof abgehen sollte, trotzdem trabte alles nach rechts. Sogar Lina war verblüfft und hat mehrmals gefragt.

Es gibt keine Bahnsteige. Alles rennt, steigt und stolpert über Schotter, endlose Gleise und Weichen bis zum Zug. Die Trittbretter der Waggons sind hoch, man muss klettern. Alle hatten Koffer, Plastiktüten, Kinderwagen, kleine Kinder und alte Leute bei sich. Es war eine Szene, die mich an Filme über die Nachkriegszeit erinnerte.

Der Zug auf der kurzen Strecke bis zum Dorf hat mehrfach auf offener Strecke angehalten, warum auch immer. Aber keiner regt sich über so was gross auf. Das ist eben so. Da werden Lebensmittel ausgepackt, es wird gegessen, Flaschen gehen rum, Kinder schreien und werden gestillt. Bis Chita fährt dieser Zug drei Tage, bis Wladiwostok zwei Wochen. Zwei Wochen bis Wladiwostok, da weiss man über seine Mitreisenden alles, kennt jede Eigenheit und alle Gewohnheiten.

Der Nahverkehr in Perm brachte mir ein paar Überraschungen. Die Strassenbahnen sind ziemlich alt und haben eine breitere Spur als bei uns, wie ja auch die Eisenbahn. Aber die modernen Busse kommen ohne Ausnahme gebraucht direkt aus Deutschland. So direkt, dass die Busse immer noch die deutsche Reklame spazieren fahren, die Fahrzielangaben in den Kästen über dem Fahrer zeigen nach wie vor die deutschen Fahrziele, da steht auch schon mal "Einsatzwagen". Unten dann ein Kasten mit den Fahrzielen auf Russisch. In den Bussen ist auch alles auf Deutsch beschriftet. Kurz vor den Haltestellen geht die rote Anzeige an: Wagen hält – natürlich auf Deutsch.

So ist das eben in diesem Land, man nimmt Vieles nicht so genau! Ist das gut oder schlecht? Perfektionisten sind die Russen jedenfalls nicht. In einigen Bereichen des Lebens hat das einen gewissen Charme, aber nicht in allen. Na ja, die Deutsche Ordnung hat ja auch Vorteile, aber bestimmt nicht immer, oder? Eine Frage des Standpunktes oder der Situation.

Was auch überrascht, ist die Tatsache, dass in der Innenstadt immer noch – und gut gepflegt – die alten Symbole der Sowjetzeit zu sehen sind. Lenin mit Hammer und Sichel sieht man mehrfach. Gegenüber dem Hochzeitspalast steht ein Denkmal von Kirov. Und das war nun wirklich ein unangenehmer Zeitgenosse Stalin’s. Sogar Stalin habe ich gefunden, aber nur auf einer Vase im Museum, neben Lenin.

Hängt wohl irgendwie mit der Zeitverschiebung zusammen. Früher sagten die Russen: Der Himmel ist hoch und der Zar ist weit. Scheint immer noch so zu sein.

Die Russen interessieren sich nicht viel für Politik. Den meisten ist es ziemlich egal, wer im Kreml an der Macht ist. Hauptsache man hat was im Kochtopf, ab und zu einen Wodka oder auch mehrere und der Winter wird nicht zu kalt. Geduldige Menschen sind das hier, waren sie schon immer. Und die Behörden? Manche waren sehr nett, ich sagte es schon. Aber in der Abteilungen der Justiz, wo es die Apostillen gab? Das sind noch Steinzeit-Sowjets.

14. Tag Rückreisetag

Mein Flug war erst abends 18.45. Es war ein trüber Tag, obwohl die Sonne schien. Blues war das Motto. Mama Katja hat mich noch einmal gefüttert, ich hatte ja eine weite Reise vor mir.

Lina hat mich dann zum Flughafen gebracht. Ein paar Kusinen und Vettern wollten uns begleiten, aber wir sind lieber alleine gefahren. Den Abschied wollten wir schon alleine geniessen.

Also in vier Wochen bin ich wieder hier, dann nehme ich dich sofort mit, sagte ich zu Lina. Wir sind beide Optimisten, Lina und ich. Und wenn wir was wollen, dann schaffen wir es auch. Auch da sind wir uns sehr ähnlich.

Was dann den nachfolgenden Behördenkram angeht und vielleicht auch die ersten paar Tage, wenn Lina hier in Deutschland ist – da melde ich mich später zu. Hoffentlich bald.

Aber noch ein Wort zu Lina, oder Galina, wie sie mit vollem Namen heisst. Der Zufall hat uns zusammengeführt, wenn ich Inter Friendship mal als Zufall bezeichnen darf. Der Zufall hat mir da eine Frau beschert, auf die ich schon lange gewartet habe, ohne es zu wissen. Als wir uns das erste Mal gesehen haben, hat es sofort gefunkt. Es war der berühmte Blitz, der da eingeschlagen hat, von dem ich nicht wusste, dass es ihn überhaupt gibt. Und das war gegenseitig. Lina ist keine Frau nur für Sonnenschein, sie ist eine Frau auch mal für bewölkten Himmel, sie steht mit beiden Beinen auf der Erde. Und das ist gut so, denn Wolken am Himmel gibt es immer mal, die kann man nie ganz ausschliessen.

Ich bin froh, dass ich sie gefunden habe.

Das mit dem bewölkten Himmel – ich werde alles tun, dass sich das im Rahmen hält. Das bin ich uns Beiden schuldig.

 
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